Spandauer Fragen

Zur Politik der Arbeit in einer neuen Zeit

 

Die Debatte um eine neue Politik der Arbeit, die an einer emanzipatorischen Perspektive für die Menschen festhält, findet gegenwärtig unter sehr schwierigen ökonomischen und politischen Bedingungen statt - einschließlich der Vorherrschaft restaurativen Denkens. Anhand der Vielzahl offener Fragen und der Unsicherheiten über die zukünftige ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Entwicklung sowie der Gestaltungsbedingungen von Arbeits- und Sozialsystemen, sollen hier orientierende Fragen für eine gemeinsame produktive Weiterarbeit im Dreieck von kritischer Wissenschaft, Gewerkschaft und sozialen Bewegungen formuliert werden. Diese Fragen sollen unabhängig von tagespolitischen Anforderungen, Taktik und Opportunität gestellt werden.

Die Fragestellungen beziehen sich auf zwei unterschiedliche Problemdimensionen, welche im Interesse klarer Arbeitsergebnisse auseinander gehalten werden müssen, auch wenn dringend zu lösende Fragen der Tagespolitik beide Dimensionen immer wieder betreffen.

Die Fragen beziehen sich erstens auf die Dimension einer adäquaten Analyse der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage und politischen Kräfteverhältnisse national wie international. Dabei geht es insbesondere um eine tragfähige Untersuchung des Verhältnisses von Altem und Neuen in der Gesellschaft und den daraus zu ziehenden Konsequenzen für eine emanzipatorische Arbeits- und Gesellschaftspolitik.

Die Fragen beziehen sich zweitens auf eine realitätstüchtige Bestimmung möglicher Handlungsstrategien, die weder perspektivlos am vergehenden Alten festhalten und nicht mehr nach den Chancen neuer Entwicklung fragen, noch der modischen Tendenz erliegen, gleichsam vom Neuen geblendet, altbekannte Verhältnisse und Strukturen zu vernachlässigen und zu leugnen, welche doch in veränderter Gestalt wiederkehren. Das immer noch vorherrschende ‚neoliberale Einheitsdenken’ behindert sowohl eine nüchterne Analyse der wirklichen Entwicklung, als auch eine Verständigung über tragfähige Handlungsorientierungen.

 

1  Notwendige Fragen jenseits des neoliberalen Einheitsdenkens

Das Ende des Kalten Krieges fällt zusammen mit dem Ende des ‚fordistischen’ Entwicklungstyps der Güterproduktion in den führenden Industrieländern des Westens. Dieses Modell kann als das Zusammenwirken unterschiedlicher Strategien beschrieben werden, in deren Zentrum die ‚wissenschaftlicher Betriebsführung’ (Taylor), die ‚Massenproduktion’ (Ford) und ‚gesamtwirtschaftliche Globalsteuerung’ (Keynes) standen. Sein Ende war im Ergebnis ein Epochenbruch, der sich im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts vollzog.

Das neoliberale Einheitsdenken unserer Zeit interpretiert diesen Epochenbruch als das Ende einer geschichtlichen Entwicklung ideologischen Abweichungen. Die für allein verbindlich erklärte einzelwirtschaftliche Rationalität als bestimmende gesellschaftliche Handlungsmaxime hat sich mit dem Ende der Systemkonkurrenz endgültig historisch durchgesetzt und ihre Überlegenheit bewiesen. Damit tritt die Rationalität eines umfassend und total angewandten mikroökonomischen Denkens in den Vordergrund. Im Mittelpunkt steht das Individuum, der einzelne nutzenmaximierte Mensch, der nur noch ökonomisch denkt und handelt.

Dies war mit dem Versprechen verbunden, durch die Entfesselung aller Marktkräfte letztlich Politik und Staat überflüssig machen bzw. auf die Garantie formaler Rahmenbedingungen (Eigentumsgarantie, Rechtsstaatlichkeit) reduzieren zu können. Etwa seit Mitte der 1990er Jahre , verstärkt seit der Asienkrise von 1997 und seit dem 11. September 2001 tritt jedoch der Anspruch auf eine offensive politische Gestaltung dieser Marktradikalität und –rationalität

Wieder stärker in den politischen Vordergrund, nicht zuletzt in der Politik der USA.

Die kritische Debatte dieser Entwicklung von politischen Gegenbewegungen und Reformkräften ist immer noch überwiegend davon geprägt, den Herausforderungen des neoliberalen Einheitsdenken mit der Verteidigung des alten Institutionengefüges und seiner traditionellen Werte gegenüber zu treten. Dies reicht aber offenbar nicht aus, um wieder in die Offensive zu gelangen und einer sozialen und humanen Alternative den Weg zu bahnen. Ohne ein Hinterfragen der neuen ‚Normalität’ der kapitalistischen Produktionsweise aufgrund der heute von ihr produzierten Probleme wird dies nicht zu erreichen sein.

Durch die Krise der New Economy, den mit krimineller Energien verursachten Zusammenbrüchen großer US Konzerne im Einklang mit rücksichtloser Bereicherung von Spitzenmanagern zu Lasten von Aktionären und Kunden wachsen immer mehr Zweifel und Kritik am neoliberalen Einheitsdenken. Mit den folgenden Leitfragen soll der Versuch unternommen werden, die Grundlagen für eine erfolgversprechende Vertiefung dieser Kritik zu entwickeln. Dabei gilt es, die neoliberale Deutungshoheit vom „Ende der Geschichte“ nach dem Ende des Systemkonkurrenz und der Krise der fordistischen Produktionsweise heraus zu fordern:

a) Was war und ist historisch der wirkliche Inhalt des unbestreitbaren Epochenbruchs im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts?
b) Wo zeigen sich aktuell die Grenzen und zentralen Widersprüche einer bloß mikroökonomischen Rationalität?
c) Wie kann zukünftig ein alternatives gesellschaftliches Entwicklungsmodell jenseits des Totalitätsanspruchs betriebswirtschaftlicher Rentabilität aussehen?
d)Welche Konsequenzen sind damit zukünftig für eine neue Politik der Arbeit und gesellschaftliche Regulierungen verbunden?

 

 1.1  Der Inhalt des Epochenbruchs

Die Frage nach einer alternativen Interpretation der Inhalte des Epochenbruchs wirft weitere, miteinander verbundene Fragen auf:

a) die Frage nach der Veränderung grundlegender gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz einerseits und der Erosion reformkapitalistischer Regulierungen von Arbeitsbeziehungen, Ökonomie und Gesellschaft in westlichen Industriestaaten andererseits,
b)die Frage nach dem Zusammenhang der neuen Verhältnisse und Lagen mit den Potenzialen neuer Technologien, mit deren Wirkungen auf den Arbeits- und Reproduktionsprozess und auf veränderte Haltungen und Bedürfnisse der Menschen und
c)die Frage nach den entscheidenden Weichenstellungen für politische Gestaltung bei vergangenen Umbrüchen und für zukünftige Veränderungen.

In den vorherrschenden Lagediagnosen überwiegt oftmals ein Ökonomie- und Technikdeterminismus und das damit verbundene Denken aus der Perspektive der eigenen Ohnmächtigkeit. Demgegenüber ist besonders herauszuarbeiten, welche entscheidenden Umbrüche in den letzten vierzig Jahren vom Eigensinn (Oskar Negt) der Menschen und ihrer Widerstandsfähigkeit ausgegangen sind, wie beispielsweise

-von Frauen und Männern, die mit der fordistischen und damit hoch arbeitsteiligen Regulierung und Nutzung ihrer Arbeitskraft unzufrieden waren und für sozialere Arbeitsbeziehungen kämpften,
-von Frauen, die sich nicht länger den gesellschaftlichen als normal durchgesetzten Mustern einer geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung fügten,
-von den vielen Menschen in der sog. Dritten Welt, die sich kolonialer und neokolonialer Abhängigkeit und Ausbeutung widersetzten.

Dabei ist immer auch zu thematisieren, wie diese Auseinandersetzungen „umfunktioniert“ worden sind, um die dadurch zunächst praktisch kritisierten Machtverhältnisse zu erneuern.

 

1.2  Die Grenzen und Widersprüche mikroökonomischer Rationalität

Dem Anspruch des neoliberalen Einheitsdenkens auf das Monopol der Rationalität ist nicht nur entgegenzuhalten, dass bereits auf der Ebene der Makroökonomie seine Grundmodelle theoretisch fehlerhaft sind und in der Praxis immer wieder scheitern. Vielmehr ist darauf zu bestehen, dass sich die politische Rationalität demokratischer Entscheidungs-, Konsens- und Kompromissbildungsprozesse nicht auf ökonomische Kalküle beschränken lässt. Dies gilt erst recht für den dialogischen Prozess vernünftiger menschlicher Selbstverständigung, die nicht auf ein ökonomisches Präferenzkalkül reduzierbar ist. Der individualisierte, von Traditionen und familiären Bindungen befreite flexible Mensch, der sich in einer allein von mikroökonomisch durchherrschten Welt als „Arbeitskraftunternehmer“ oder in der Figur seiner „Ich-AG“ erfolgreich behauptet, ist schon für die westlichen Gesellschaften keine Figur, mit der allein sich ein hinreichend tragfähiges Entwicklungsmodell verknüpfen ließe.

Und die Vorstellung einer „Welt von Silicon Valley – Gesellschaften, die von technologischer Erfindungskraft, finanziellem Abenteurertum und kulturellem Individualismus angetrieben werden, von hochtechnologischen Archipels in einem Meer von Armut und Subsistenzwirtschaft, ist“ , wie Manuel Castells formuliert hat, „nicht nur ethisch fragwürdig, sondern (...) auch politisch und sozial nicht aufrecht zu erhalten.“

Vor diesem Hintergrund wird es aus ethischen, emanzipatorischen, sozialen und demokratischen Gesichtspunkten heraus notwendig und möglich, der Frage nachzugehen, welche gesellschaftlichen Voraussetzungen für jedes nachhaltige wirtschaftliche Entwicklungsmodell verwirklicht werden müssen. Es wird darüber hinaus möglich, die weitergehenden Fragen zu untersuchen, wie sich auch durch Marktprozesse hindurch Herrschaftsverhältnisse reproduzieren und durchsetzen können - und wie einer derartigen Durchsetzung „hinter dem Rücken“ der Beteiligten, etwa in den Feldern der neuen Selbständigkeit und der neuen prekären Beschäftigungsverhältnisse, d.h. gleichsam unterhalb und oberhalb der zurückgedrängten bisherigen „fordistischen Normalarbeit“, durch wirksame Gegenstrategien begegnet werden kann

Die kritische Analyse derartiger Strukturen, in denen der Übergang zu einer verstärkten Marktvermittlung keineswegs als ein Moment der Befreiung funktioniert, wird damit zu einem Kernpunkt der Auseinandersetzung mit dem neoliberalen Denken und seinem beanspruchten Monopol der Rationalität..

 

1.3  Die Suche nach einem neuen Entwicklungsmodell

Nach dem Ende des Kalten Krieges – in den Gewerkschaften und Arbeiterparteien vielfältig hineingezogen waren – sind neue Fragen in den Mittelpunkt globaler politischer Auseinandersetzungen gerückt. Mit dem Rio-Prozess ist auf der Ebene der internationalen Diplomatie eine Debatte über Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung der gesamten Menschheit in Gang gekommen. Die Anforderungen an eine neue Politik der Arbeit müssen auch im Kontext dieser Debatte entwickelt werden.

Der Rio-Prozess konnte auch durch massive Interventionen führender Industriemächte, allen voran der USA, bisher nicht wieder beendet werden. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Suche nach einer neuen und sozialeren Weltwirtschaftsordnung seit dem Ende des Kalten Krieges und des westlichen Nachkriegs-Fordismus für viele Menschen historisch auf der Tagesordnung steht. Allerdings sind die politischen Kräfte zur Durchsetzung wirklicher Schritte in diese Richtung bisher durch die neoliberale und die neokonservative Offensive erheblich geschwächt. Dennoch entstehen neue politische Bewegungen und bestehende reorganisieren sich. Sie agieren regional und lokal sowie international und transnational, sind in unterschiedlichen Bereichen und auf unterschiedlichen Ebenen aktiv und neue Bündnismöglichkeiten eröffnen sich.

Die Entwicklung einer neue Politik der Arbeit ist daher mit einem vielstimmigen Dialog globaler Probleme verbunden, die in dem vom Neoliberalismus beherrschten Jahrzehnt der 1990er Jahre in vielen Fällen weiter verschärft wurde. Dazu gehören die generellen Themen des Ausgleichs zwischen „Norden und Süden“, zwischen „Arm und Reich“, zwischen „Mensch und Natur“, sowie auch zwischen „Gegenwart und Zukunft“.

            

Fragen neuer Strategiebildung  

Fragen neuer Strategiebildung sollten nicht mit tagespolitischen oder taktischen Gesichtspunkten überfrachtet oder gar mit ihnen verwechselt werden. Es geht vielmehr um einen längerfristigen Prozess der Selbstaufstellung und –aktivierung. Es geht um Antworten auf die Fragen , welche Kräfte, mit welchen Mitteln, in Bezug auf welche Gegenstände und an welchen Orten in kommenden Auseinandersetzungen mit Aussicht auf Erfolg agieren können.

Vier Fragestellungen erscheinen in dieser Hinsicht als besonders vielversprechend:

1.Welches neue Potenzial der Wissensbildung können und müssten durch strategische Allianzen zwischen Gewerkschaften als Organisation der abhängig Beschäftigten und Einrichtungen der wissenschaftlichen Arbeit erschlossen werden?

2. Welche Akteure werden unter den veränderten Bedingungen der gegenwärtigen Arbeitswelt für eine neue Politik der Arbeit mit einem umfassenden gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch gebraucht und wie können sie gefunden und angesprochen werden?

3. Welche politischen Konstellationen potenzieller Bündnispartner können auf lokaler und regionaler Ebene angesprochen werden und welchen Handlungspotenziale sind damit verbunden?

4. Wie können die neuen, oft noch diffusen Ansprüche auf demokratische Gestaltung der weit über die Grenzen der Nationalstaaten hinausgehenden europäischen und globalen Zusammenhänge produktiv umgesetzt werden?

            

2.1  Strategische Allianzen der Wissensbildung zwischen Gewerkschaften und Wissenschaft

Die Zusammenarbeit und wechselseitige Orientierungsfunktion zwischen Wissenschaft und Gewerkschaften hat mit dem oben skizzierten Epochenbruch deutlich an Intensität und Wirksamkeit verloren. Deshalb stellt sich heute die Frage nach den Möglichkeiten des strategischen Zusammenwirkens einer tief ansetzenden Arbeits- und Wissenspolitik z. B. über Kooperationsnetzwerke erneut. Wie könnte ihr Verhältnis zur allgemeinen Debatte der Gegenwart über Wissensmanagement und die Wissensgesellschaft sein?

Die strategische Aufgabe wird zum einen darin bestehen, sich der Suggestivkraft immer kurzatmiger zirkulierender Analysen der Gegenwart mit Totalitätsanspruch – von der „Risikogesellschaft“ über die „Informations- oder Wissensgesellschaft“ bis hin zur „Erlebnis- oder Sensationsgesellschaft“ – zu entziehen, ohne damit zum anderen die Problemstellungen und gesellschaftlichen Veränderungen abzuwehren, die qualitativ hinter neuen Begrifflichkeiten und Diskursen stecken. Es stellt sich damit immer auch die Aufgabe, ihre Bedeutung für die Meinungsführerschaft in der Frage der Erkenntnis der gegenwärtigen Lage zu erkennen und notwendige Schlüsse zu ziehen.

            

2.2  Akteure für eine neue Politik der Arbeit 

Wer sind die gesellschaftspolitischen Akteure für eine neue Politik der (ganzen)Arbeit? Wie wird ihre Kooperation organisatorisch und strategisch entwickelt? Welches ist die Funktion des DGB und der Einzelgewerkschaften über die bisherigen Formen institutionalisierter Arbeitspolitik hinaus? Wie ist die Situation in anderen europäischen Ländern?

Für die Gewerkschaftsbewegung wird es zu einer zentralen Aufgabe, die Verschiebung von „klassischer Lohnarbeit“, „neuer Selbstständigkeit“ und „prekärer Arbeitsverhältnisse“ zu begreifen, welche in den 1990er Jahren eingeleitet und immer mehr durchgesetzt worden sind – auch im Hinblick auf darin angelegte neue Chancen gewerkschaftlichen Handelns. Darüber hinaus müssen Gewerkschaften der in diesem Sinne weiter gefassten abhängigen Arbeit damit anfangen, selber praktische Vorteile aus grenzübergreifenden Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches und der Kooperation mit möglichen Bündnispartnern in anderen Ländern zu ziehen – über die bisherige internationale Arbeit der Gewerkschaften und etwa der europäischen Betriebräte hinaus. Auf der Tagesordnung steht der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Gewerkschaftsbewegung auf der Grundlage bisheriger Arbeit und Institutionen.

             

2.3  Reichweite regionaler Arbeitspolitik 

Es gibt vielfältige Erfahrungen, neue Ansätze und Gestaltungspotentiale auf regionaler Ebene und auf der Ebene lokaler Politik. Welche Chancen hat eine Politik des „global denken – lokal handeln“ für mehr soziale Stabilität und eine nachhaltige Zukunftssicherung angesichts vielerlei Prozesse der Entstaatlichung, Deregulierung, Entpolitisierung. Welche Chancen einer machtmäßig-strategischen Orientierung lokaler Arbeitspolitik gibt es? Wer sind ihre Akteure? Welche Rolle spielen Individuen und lokale Initiativen, welche Arbeits- und Betriebszusammenhänge sind relevant und welche Aufgaben kommen Gewerkschaften und kritischer Wissenschaft zu ? Wie steht es mit der Überwindung der Konkurrenz der Regionen ?

Seit den 80er Jahren und in ganz neuen Maßstäben seit der deutschen Vereinigung haben gewerkschaftliche, gewerkschaftsnahe Akteure und sozial/ökologische Initiativen umfassende Erfahrungen in der Mitgestaltung lokaler und regionaler Entwicklungen gesammelt, deren strategische Auswertung vielfältig umsetzbare Einsichten in bisher nur unvollständig und gelegentlich genutzte Handlungsmöglichkeiten verspricht. Das gleiche gilt für die vielfachen zivilgesellschaftlichen Potentiale auf kommunaler Ebene, die den anstehenden Reformen der Kommunalverfassungen einschließlich ihrer finanziellen Basis energisch zuarbeiten können. Eine Chance eines demokratischen Europas „von unten“ wird damit vollkommen unzureichend genutzt. Welche Aufgaben stellen sich hier für kritische Wissenschaft? Welche Aufgaben stellen sich hier für regionalen Arbeitspolitiken der europäischen Gewerkschaftsbewegung?  

            

2.4.Demokratische Regulierung der Weltgesellschaft 

Die politischen Implikationen der Globalisierung gehen gegenwärtig auf eine imperiale Weltgesellschaft hinaus. Wie kann man dagegen eine Weltgesellschaft der Vielen herausbilden und gestalten., welches sind die darauf bezogenen Chancen für demokratische Politik in Europa als immer wichtigerem Regulationsraum?

Die Gewerkschaften und ihnen nahestehende Bewegungen werden entscheidend darauf angewiesen sein, mehr eigenständige Handlungsfähigkeit in Bezug auf globale und europäische Problemdimensionen zu entwickeln. Das wird nur im offenen Dialog mit den bereits transnational agierenden Bewegungen, Organisationen und Netzwerken möglich sein. Zugleich werden aber gerade die Gewerkschaften ihre spezifischen politischen Möglichkeiten verstärkt ausbauen und nutzen müssen, um ihren wachsenden institutionalisierten Einflussmöglichkeiten – getragen auch vom Druck sozialer Protestbewegungen – tatsächlich in den Dienst ihrer gesellschaftspolitischen Gestaltungsziele stellen zu können.

            

3  Praktische Konsequenzen 

Auch für die gesellschaftliche Praxis ist die Entwicklung eines analytisch leistungsfähigen und realitätstüchtigen Diskurses ein erstes Erfordernis. Dieser Diskurs findet bis heute vollkommen unzureichend und im Selbstverständnis der jeweiligen in-group mit ihren liebgewonnen Wahrheiten statt. Diese selbst gezogenen politischen und intellektuellen Grenzen müssen überwunden werden. Dazu gehört auch, dass eine diesen Diskurs flankierende und beständig weiter entwickelnde Forschung stattfindet. Vor diesem Hintergrund können und müssen die Gewerkschaften aus ihren eigenen Erfahrungen und im Dialog mit engagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern solidarische Antworten auf die gegenwärtigen Probleme entwickeln, durch die sie die Interessen der abhängig Arbeitenden in all ihren Formen wieder zu einem wirksamen gesellschaftspolitischen Faktor machen und dadurch dem neoliberalen Einheitsdenken eine seiner entscheidenden Grundlagen entziehen könnten. Sie besteht in der weitverbreiteten Überzeugung, das es keine gesellschaftspolitischen Alternativen mehr gebe. In diesem Sinne rufen die „Spandauer Fragen“ zu einem breiten Diskussionsprozess auf, der mehr auf Nachdenklichkeit und weniger auf schnelle Antworten zielt und den die Beteiligten in Berlin, Dortmund, Brandenburg und anderen Regionen weiter bearbeiten werden. Weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter sind gesucht und erwünscht.

 

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