Spandauer Thesen - These 3


Die „neoliberale Revolution“ kennzeichnet einen Epochenbruch

Die „neoliberale Revolution“ ist nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen. Sie markiert einen seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts fortschreitenden Epochenbruch, der durch die technologische und organisatorische Umwälzung des Produktions- und Arbeitssystems bestimmt wird und deren Kern die computergestützte flexible Automation ist, die die Frage nach einer solidarischen Organisation gesellschaftlicher Arbeit erneut zum Thema macht.

Nachdem die ersten Offensiven der neoliberalen Gegenreformen nicht zu den versprochenen großen Durchbrüchen in einer ganz neuen krisenfreien Wirtschaft geführt haben – und das „Ende der Geschichte“ offensichtlich nicht eingetreten ist - können heute Weichenstellungen für die zukünftige Entwicklung im Sinne einer solidarischen und nachhaltigen Gesellschaft beeinflusst werden. Wir befinden uns in einem unabgeschlossenen Epochenbruch. Der Weg in die reine Marktgesellschaft des Neoliberalismus ist keineswegs zwingend vorgezeichnet und die Widerstände dagegen nehmen weltweit zu.

Die eingetretenen Umbrüche konstituieren nicht nur eine ökonomische und politische Restauration vergangen geglaubter Klassenverhältnisse, sie lassen auch neue Möglichkeiten aufgeklärter und emanzipatorischer Politik aufscheinen. Der Neoliberalismus hat sich zwar unter Ausblendung seiner eigenen Geschichte zum Geburtshelfer etwas Neuen erklärt, aber er ist nicht schon dieses historisch Neue selbst. Über eine neue historische Konstellation angesichts der Herausforderungen von Globalität, Verwissenschaftlichung, Verantwortlichkeit und Nachhaltigkeit ist erst noch in den kommenden gesellschaftspolitischenAuseinandersetzungen zu entscheiden: Es tritt nicht als eine fertige, fest gefügte neue Epoche aus der historischen Zukunft hervor, sondern fordert in der Gegenwart zur gesellschaftspolitischen Gestaltung heraus.

 

Begründung

Wir verstehen diese tiefgreifenden Umbrüche als einen Epochenbruch, der noch unabgeschlossen ist. Mit dem Ende der fordistischen Gestalt der industriellen Arbeitsgesellschaft (taylorisierte Arbeit, Massenkonsum, wohlfahrtsstaatliche Sicherungssysteme) stehen zentrale gesellschaftliche Institutionen unter massivem Druck. Versprochen werden neue Freiheiten, aber Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse bestehen in veränderten Formen weiter. Massenproduktion und Massenkonsum entwickeln sich weiter. Die Individualisierung die wir erleben, hat wenig mit entfalteter und reicher Individualität zu tun. Dennoch ist der Weg in die reine Marktgesellschaft des Neoliberalismus keineswegs zwingend vorgezeichnet.

Die von uns vertretene Fassung der These vom Epochenbruch setzt sich ganz ausdrücklich von überschwänglichen Auffassungen ab, welche gleich das Ende der Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Produktionsweise oder gar das Ende ihrer Herrschaft bzw. das Ende der materiellen Industrieproduktion oder der staatlichen Politik heraufziehen sahen. Für uns geht es auch nach diesem Epochenbruch – zum einen – insofern unverändert – um die Auseinandersetzung mit der Herrschaft der inhärent krisenhaften kapitalistischen Produktionsweise als Motor und Bremsklotz der Anwendung von Technologien in der industriellen Produktion. Zum anderen hat sich das Gewicht des politischen Zusammenspiels von hegemonialen Staaten und jetzt weltweit agierenden Unternehmen des Großkapitals in den letzten Jahrzehnten nur noch weiter vergrößert.

Anstatt mit der Konstatierung eines Epochenbruchs die von der erfolgreichen Politik der Neoliberalen erzielten ‚Geländegewinne’ für irreversibel zu erklären, muss es darum gehen, die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit weltweit wieder dahingehend zu verändern, dass zumindest eine keynesianische Bändigung der kapitalistischen Akkumulationsdynamik wieder durchgesetzt werden kann.

Unsere These vom Epochenbruch sieht durchaus die Dialektik von Kontinuität und Bruch in den Umbrüchen, die seit den 1980er Jahren erfolgten und in den 1990er Jahren in breiter Front durchgesetzt worden sind. Sie sieht insbesondere auch die Kontinuität zu älteren historischen Gestalten der Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise und zu den allgemeineren Bestimmungen der großindustriellen Produktion als Form der technologischen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die gesellschaftliche Produktion auf großer Stufenleiter. Sie betont aber das Zerbrechen der spezifisch fordistischen Gesamtkonstellation, wie sie nach der langen Krisenperiode von 1914 bis 1945 weltweit in unterschiedlichen Ausprägungen die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt hatte – und die neuen Herausforderungen seit der Krise des Fordismus und dem Zusammenbruch des Kalten-Kriegs-Systems, an die sich die neoliberalen Konzeptionen angekoppelt haben, um ihre erneuerte Aktualität behaupten zu können. Diese neuen Herausforderungen sollten nicht deswegen ignoriert oder bestritten werden, weil sie von neoliberalen Politiken ‚ausgebeutet’ werden. Die Kräfte einer neuen Politik der Arbeit sollten sie vielmehr zum Ausgangspunkt eigener Alternativkonzepte machen, die den neoliberalen Konzepten wirksam entgegengestellt werden können.

Gewiss kann sich Opposition immer auch noch darauf stützen, dass derartige Veränderungen noch längst nicht überall durchgesetzt werden konnten und noch auf beträchtliche Widerstände stoßen, welche ihre Durchsetzung weiter verzögern können. Dennoch müssen die Kräfte einer neuen Politik der Arbeit vorrangig darauf hinwirken, dass sie diejenigen Momente dieser neuen Entwicklungen erkennen und praktisch vorantreiben, durch die sich die Lage und die gesellschaftliche Kraft der TrägerInnen aller Formen abhängiger Arbeit verbessern lässt.

Nachdem die neoliberalen Projekte nicht zu den versprochenen großen Durchbrüchen einer neuen krisenfreien Wirtschaft geführt haben, an der alle partizipieren können, ist es gerade heute möglich, Weichenstellungen für die zukünftige Entwicklung aktiv im Sinne einer solidarischen und nachhaltigen Ökonomie und Gesellschaft zu beeinflussen. Der Epochenbruch lässt neue Möglichkeiten aufscheinen. Die neoliberale Politik gibt sich als Geburtshelfer von etwas ganz Neuem aus, aber die reine Marktgesellschaft, auf die sie zielt, befördert gesellschaftliche Ungleichheit und Spaltung und letztlich globale Barbarei. Eine neue stabile Konstellation ist auf ihrer Grundlage nicht möglich.

Wichtige Elemente dieses Neuen sind: Wachsende gesellschaftliche Reichtumsproduktion, vor allem auch in den lebendigen Arbeitsvermögen selbst, ein verbreitertes und verändertes wissenschaftliches Denken, ein neues Verständnis von Verantwortlichkeit und Nachhaltigkeit für alle. Gerade deshalb liegt das Neue nicht schon als festgefügte neue Epoche vor uns sondern als Herausforderung und Chance zu neuer gesellschaftspolitischer Gestaltung. Die Bedeutung des Epochenbruchs liegt in den Chancen zu einer Neubestimmung der Politik zur Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft.

 

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